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1. Gandhi - EIne Autobiographie.

2. Entrer dans l’age de la non-violence, Jean Marie Muller

3. Angirffsziel der Gewaltlosigkeit, Lanza del Vasto, Die Macht der Friedfertigen

 

1.     M.K. Gandhi – Eine Autobiographie

(Verlag Hinder + Deelmann, 9. Auflage 2009, ISBN 978 3 87348 173 2)

 

Aus dem Nachwort des Herausgebers

 

Die Basis von Satyagraha ist die Bereitschaft zum Opfer : „Vielleicht müssen wir ins Gefängnis wandern, wo man uns beschimpfen mag. Vielleicht müssen wir Hunger leiden und starke Hitze oder Kälte aushalten; Vielleicht wird uns Zwangsarbeit auferlegt werden. Vielleicht werden wir von rohen Wärtern ausgepeitscht werden. Vielleicht legt man uns schwere Geldstrafen auf, beschlagnahmt unser Vermögen und versteigert es, wenn nur noch wenige Widerstand Leistende übriggeblieben  sind. Während wir heut reich sind, können wir morgen zu elender Armut heruntergebracht sein. Vielleicht werden wir deportiert werden. Wenn wir im Gefängnis Hunger und ähnliche Mühsal erleiden müssen, werden einige von uns vielleicht erkranken, ja sogar sterben ......“(Gandhi 1906).

 

Das oberste Gebot heißt Wahrheit.
Das zweite Gebot ist Ahimsa, das Nichtschädigen alles Lebenden.

Brahmacharya-Gelübde (heißt wörtlich heiliges Studium). Es entspricht dem mönchischen Keuschheitsgelübde, fordert aber außer der geschlechtlichen Enthaltsamkeit die völlige Beherrschung aller Sinne, vor allem die Überwachung des Gaumens

Armuts-Gelübde zerlegt sich in zwei Gebote : Man darf kein fremdes Eigentum entwenden und man darf nur verwenden, was man wirklich nötig hat.

 

Stufen von Satyagraha

 

  1. Nicht-Zusammenarbeit : der Verzicht auf die Zusammenarbeit mit dem als korrupt verderblichen durchschauten Staat oder Gemeinschaft
  2. Ziviler Ungehorsam : Es gilt als das eigentliche Mittel des aktiven gewaltlosen Widerstandes. Es sind direkte Aktionen, die dazu bestimmt sind, Zusammenstösse mit der Staatsgewalt herbeizuführen: Übertretung von Staatsverboten, Missachtung von Staatsgeboten, die sich nach gewissenhafter Überprüfung als ungerecht oder unmoralisch erwiesen haben. Ihm folgen regelmäßig polizeiliche und gerichtliche Schritte der Staatsgewalt und eben auf diese ist die Aktion berechnet. Durch das Opfer wird die allgemeine Aufmerksamkeit auf einen Missstand gelenkt und so ein Druck zu seiner Beseitigung aufgebaut.

Wesentlich ist nicht nur jede Gewalttat immer und überall peinlich zu vermeiden, sondern auch keine feindseligen oder gehässigen Empfindungen gegenüber denjenigen aufkommen zu lassen, deren Waffen und Gefängnissen man sich freiwillig darbietet.

  1. Fasten (bis zum Tode) : die Möglichkeit beim Fasten ums Leben zu kommen übt indirekt einen unausweichlichen moralischen Druck auf die Beteiligten aus, die sich moralisch ansprechen lassen. Damit ist die wesentliche Satyagraha-Wirkung erreicht, die ja nicht darauf ausgeht, dem Gegner Schaden zuzufügen oder zu wünschen, sondern ihn auf das Niveau seines eigenen besseren Selbsts zu bringen.

Es geht dabei um eine doppelte Umkehr: von der Gewalt zur Gewaltlosigkeit und von der materiellen Bequemlichkeit zum Opfer. Damit Gewalt zur Wirkung kommt, setzt sie Gegengewalt voraus. Wo ihr mit aktiver Nicht-Gewalt begegnet wird, stößt sie gewissermaßen ins Leere und überschlägt sich im eigenen Ungestüm. Die geistige Überlegenheit aktiver Nichtgewalt jedoch entstammt ihrerseits der Aktivität der Liebe, die wiederum in der Selbstlosigkeit und Opferbereitschaft wurzelt.

 

Diese Wahrheitspraxis (Satyagraha), die das als richtig Erkannte furchtlos vor aller Welt zu verwirklichen hat, fordert freilich Opfer.  Doch ohne solche ist das Dilemma (der heutigen Weltlage) nicht zu überwinden. Es bleibt im Grunde nur die Wahl, entweder freiwillig Opfer zu bringen auf dem Wege der Wahrheit, der aus einer heillosen Situation hinauszuführen mag, oder es darauf ankommen zu lassen, durch die dann nicht abwendbare Katastrophe zwangsweise noch größere Opfer zu erleiden. Die Wahl kann für den Einsichtigen nicht schwer sein, zumal wenn er bedenkt wie viele Opfer die Gewalt im Laufe der Geschichte der Menschheit abverlangt hat. 

 

Satyagraha - Wahrheitspraxis / Festhalten an der Wahrheit

 

Der Mensch und sein Tun sind zweierlei. Während eine gute Tat Billigung und eine schlechte Tat Missbilligung finden sollte, verdient der Täter der Tat, ob gut oder schlecht, stets Achtung oder Mitleid je nach Lage des Falles. „Hasse die Sünde und nicht den Sünder“ ist ein Gebot, das, so leicht es zu verstehen ist, doch nur selten verwirklicht wird. Deshalb breitet sich das Gift des Hasses über die ganze Welt aus.

 

Die Erfahrung hat mir gezeigt, dass Höflichkeit der schwierigste Teil von Satyagraha ist. Höflichkeit meint hier nicht allein die äußere Milde des Ausdrucks, die man sich für die Gelegenheit zurechtmacht, sondern eine angeborene Milde und das Verlangen, dem Gegner Gutes zu tun. Diese Eigenschaften sollten sich in jeder Handlung eines Satyagrahi bekunden (S 366).

 

Ahimsa ist die Grundlage der Wahrheitssuche. Ich erkenne jeden Tag, das die Suche vergeblich ist, wenn sie nicht auf Ahimsa als Basis gründet. Es ist ganz in Ordnung, einem System zu  widerstehen und es anzugreifen. Aber seinem Urheber zu widerstehen und ihn anzugreifen, ist gleichbedeutend mit Widerstand und Angriff gegen sich selbst (S.234)

 

Das Ende einer Satyagraha-Kampagne kann nur dann als würdig bezeichnet werden, wenn es die Satyagrahis stärker und mutiger hinterlässt, als sie zu Beginn waren.

 

Wenn die, unter denen ich wirkte und von denen ich erwartete, sie seine zu Nicht-Gewalt und Selbstoper bereit nicht gewaltlos sein konnten, dann war Satyagraha freilich unmöglich. Ich war fest überzeugt, dass derjenige, der das Volk zu Satyagraha führen will, fähig sein müsse, das Volk in den Schranken der von ihm erwarteten Nicht-Gewalt zu halten.

 

Ein Satyagrahi gehorcht den Gesetzen der Gesellschaft bewusst und aus freiem Willen, weil er es für seine heilige Pflicht hält, das zu tun. Nur wenn jemand solchermaßen den Gesetzen der Gesellschaft genau gehorcht hat, ist er in der Lage zu beurteilen, welche besonderen Gesetze gut und gerecht und welche ungerecht und schlecht sind. Nur dann erwächst ihm die Berechtigung, gewissen Gesetzen unter genau bestimmten Umständen zivilen Ungehorsam zu leisten.

 

Daher können die wenigen flüchtigen Schimmer, die ich von der Wahrheit erhaschen konnte, schwerlich eine Vorstellung von dem unbeschreiblichen Glanz der Wahrheit geben, die eine Million mal stärker ist als jener Glanz der Sonne, die wir täglich mit unseren Augen sehen.... Doch so viel wenigstens kann ich mit Sicherheit als Ergebnis all meiner Experimente sagen, dass eine vollkommene Schau der Wahrheit nur die Folge völliger Verwirklichung von Ahimsa sein kann.

Um den allgemeinen und alles durchdringenden Geist der Wahrheit von Angesicht zu Angesicht zu schauen, muss man fähig sein, das geringste Geschöpf zu lieben wie sich selbst. Und jemand, der danach strebt, kann es sich nicht leisten, sich aus allen Bereichen weltlichen Lebens herauszuhalten. Deshalb hat meine Hingabe an die Wahrheit mich ins Feld der Politik geführt.

Identifizierung mit allem was lebt, ist unmöglich ohne Selbstläuterung. Ohne Selbstläuterung muss die Einhaltung des Ahimsa-Gebotes ein leerer Traum bleiben. Gott kann nie von jemandem realisiert werden, der nicht reinen Herzens ist. Selbstläuterung muss daher Läuterung bei allen Lebensschritten bedeuten.... .Doch der Weg der Selbstläuterung ist hart und steil. Um vollkommene Reinheit zu erlangen, muss man völlig leidenschaftslos werden im Denken, Reden und Tun, muss man sich erheben über die gegenlaufenden Strömungen von Liebe und Hass, Zuneigung und Abstoßung...... Ich muss mein Ich auf Null herabsetzen. Solange ein Mensch sich nicht freiwillig als letztes seiner Mitgeschöpfe ansieht, gibt es kein Heil für ihn. Ahimsa ist die weiteste Grenze der Demut (S 422)

 

Ahimsa

 

Das zweite Gebot von Satyagraha ist Ahimsa, das Nichtschädigen alles Lebenden.

 

Ahimsa ist ein umfassendes Prinzip. Wir sind hilflose Sterbliche, von der Feuersbrunst von Himsa eingefangen. In der Redewendung, dass Leben von Leben lebt, steckt ein tiefer Sinn. Der Mensch kann keinen Augenblick leben, ohne äußerlich, bewusst oder unbewusst, Himsa zu begehen. Die bloße Tatsache seines Lebens – Essen, Trinken und äußere Bewegung – schließt notwendig etwas Himsa, Zerstörung von Leben, und sei sie noch so winzig, ein. Ein Ahimsa-Bekenner bleibt daher seinem Glauben treu, wenn der Ursprung all seines Tuns Mitleid ist, wenn er, so gut er es vermag, die Zerstörung des kleinsten Lebewesens vermeidet, es zu retten sucht und sich so unablässig bemüht, von der tödlichen Verstrickung in Himsa frei zu werden. Er wird ständig an Selbstzucht und Mitleid zunehmen, doch völlig von äußerer Himsa frei werden kann er nie.

Weil wiederum die zugrunde liegende Ahimsa die Einheit allen Lebens aus macht, kann es nicht ausbleiben, dass er Irrtum eines einzelnen alle berührt, und daher kann der Mensch nicht völlig frei von Himsa sein. Solange er fortfährt, ein soziales Wesen zu sein, kann er nicht umhin, an Himsa teilzuhaben, die das bloße Dasein der Gesellschaft mit sich bringt (S 295).

 

Ahimsa ist die Grundlage der Wahrheitssuche. Ich erkenne jeden Tag, das die Suche vergeblich ist, wenn sie nicht auf Ahimsa als Basis gründet. Es ist ganz in Ordnung, einem System zu  widerstehen und es anzugreifen. Aber seinem Urheber zu widerstehen und ihn anzugreifen, ist gleichbedeutend mit Widerstand und Angriff gegen sich selbst (S.234)

 

Fasten

 

Fasten und ähnliche Übung ist daher eines der Mittel zum Ziel der Selbstzucht, doch es ist nicht alles. Wenn leibliches Fasten nicht von geistigem Fasten begleitet wird, muss es in Heuchelei und Unheil enden. (S 281)

 

Fasten kann die animalische Leidenschaft nur dann bezähmen, wenn es in der Absicht, der Selbstzucht zu üben, unternommen wird.

 

(Während eines Arbeiter-Streikes) Mein Fasten war nicht frei von einem schweren Mangel. Denn wie ich schon in einem früheren Kapitel erwähnte, erfreute ich mich sehr enger und herzlicher Beziehungen zu den Fabrikeigentümern, und es konnte nicht ausbleiben, dass mein Fasten ihre Entscheidung beeinflusste. Als Satyagrahi wusste ich, dass ich nicht gegen sie fasten durfte, sondern ihnen die Freiheit lassen musste, sich nur vom Streik der Fabrikarbeiter beeinflussen zu lassen. Mein Fasten fand nicht wegen einer Verfehlung der Fabrikanten statt, sondern wegen jener der Arbeiter, woran ich als ihr Vertreter meinen Anteil hatte. Mit den Fabrikeigentümern durfte ich nur verhandeln, gegen sie zu fasten hätte eine Pression bedeutet. Doch obwohl mir bewusst war, dass mein Fasten unvermeidlich einen Druck auf sie ausüben musste – wie es tatsächlich der Fall war – fühlte ich, dass ich dagegen nichts machen konnte. (S 361)

 

(Nach gewalttätigen Ausschreitungen bei einem Generalstreik) In meiner Ansprache vor der Versammlung versuchte ich, das Volk zum Bewusstsein seines Unrechts zu bringen, gab ein Sühnefasten von drei Tagen für mich bekannt, appellierte an das Volk, einen Tag lang gleichfalls zu fasten, und regte an, dass die an den Gewaltakten Schuldigen ihre Schuld eingestehen sollten.... Und ich fühlte, dass ein Teil ihrer Schuld auch auf mich fiel. Wie ich das Volk ermahnte, seine Schuld zu bekennen, so ermahnte ich die Regierung, das Vergehen zu verzeihen. Keiner von beiden nahm meine Mahnung an.

 

Brahmacharya

 

Wörtlich: heiliges Studium.

Es entspricht dem mönchischen Keuschheitsgelübde, fordert aber außer der geschlechtlichen Enthaltsamkeit die völlige Beherrschung aller Sinne, vor allem die Überwachung des Gaumens. Durch begrenztes Bemühen lässt sich Brahmacharya unmöglich erreichen..... Solange das Denken noch nicht völlig unter der Kontrolle des Willens steht, gibt es noch kein Brahmacharya im Vollsein.

 

Doch ich erkannte klar, dass, wer mit ganzer Seele danach trachtet, der Menschheit zu dienen, das ohne Brahmacharya nicht vermag (S 268). 

 

Brahmacharya bedeutet Kontrolle der Sinne im Denken, Reden und Tun....

 

Leben ohne Brahmacharya scheint mir schaal und tierisch. Die Tiere kennen ihrer Natur nach keine Selbstzucht. Der Mensch ist Mensch, weil er der Selbstzucht fähig ist und nur, soweit er sie übt. (S 269)

 

Sechsjähriges Experimentieren hat mir gezeigt, dass die ideale Nahrung für einen Brahmachari frisches Obst und Nüsse sind. Die Freiheit von Leidenschaft , deren ich mich erfreute, als ich von dieser Nahrung lebte, war mir unbekannt ....

Daher gelobte ich mir, während meines Aufenthaltes in Indien nie mehr als fünf Nahrungsmittel in vierundzwanzig Stunden zu mir zu nehmen und nie nach Einbruch der Dunkelheit zu speisen .... Ich habe dieses Gelübde nun dreizehn Jahre lang gehalten. Es hat mich schwer auf die Probe gestellt..... Ich bin der Meinung, dass es mein Leben um einige Jahre verlängert hat und mich vor mancher Krankheit bewahrt hat. (S 328)

 

Als äußeres Hilfsmittel für Brahmacharya ist Fasten so nötig wie Auswahl und Mäßigung bei der Diät. So überwältigend sind die Leidenschaften, dass sie nur unter Kontrolle gehalten werden können, wenn sie von allen Seiten beschnitten werden ..... Doch es kann gesagt werden, dass die Vernichtung der geschlechtlichen Wollust, die doch zur Erfüllung von Brahmacharya unentbehrlich ist, in der Regel ohne Fasten unmöglich ist.

 

 

 2.  Entrer dans l’age de la non-violence

Jean Marie Muller (Le Relié, 2011)

 

Gewalt ist keine Lösung. Niemals, nirgends ist Gewalt die Lösung. Immer und überall ist Gewalt das Problem.

Niemals und nirgends ist Gewalt ein Recht des Menschen. Immer und überall ist Gewalt ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

Niemals und nirgends vermag Gewalt einen Konflikt lösen zwischen Menschen, Gemeinschaften, Völker und Nationen. Immer und überall vermehrt sie die Feindschaft.

Niemals und nirgends vermag Gewalt einen Konflikt auflösen. Immer und überall verschärft sie ihn. Gewalt kann manchmal einen Konflikt beenden, ihn aber nicht ausgleichend lösen.

Niemals und nirgends vermag Gewalt Gerechtigkeit hervorbringen. Immer und überall ist Gewalt ungerecht.

Niemals und nirgends vermag Gewalt zur Versöhnung führen. Immer und überall verschärft sie den Hass.

Niemals und nirgends kann Gewalt einen Sieg erringen. Immer und überall führt sie zu einer Niederlage der Menschlichkeit, einem Drama, einem Unglück einer Tragödie.

Niemals und nirgends kann der Mord einen Frieden bringen.Immer und überall ruft der Mord Rache hervor. Immer wieder.

 

Idealismus ist zu glauben, das Gewalt eine Lösung sein kann, wo sie doch das Problem ist. Der Realismus fordert unsere Intelligenz heraus, eine gewaltfreie Lösung des Problems der Gewalt zu finden.

 

Eine rein prozedurale Rechtlichkeit/Legalität eines Gesetzes reicht nicht aus seine Richtigkeit/ Legimität zu garantieren. Rechtlichkeit bedeutet nicht zugleich Richtigkeit/Legitimität. Nicht die reine Gehorsamkeit gegenüber den Gesetzen macht eine Demokratie, sondern die Garantie der Gerechtigkeit für Alle macht die Demokratie aus. Das ungerechte Gesetz bedroht die Demokratie, nicht der zivile Ungehorsam gegenüber einem ungerechten Gesetz. Der blinde Gehorsam bedroht die Demokratie, nicht der zivile Ungehorsam.

 

Der zivile Ungehorsame ist kein Rechtbrecher/Delinquent. Er ist ein Dissident. Diese Unterscheidung ist nicht formal sondern entscheidend. Der Delinquent wie der Dissident sind ungehorsam. Aber der Delinquent bricht mit den ethischen Grundwerten, der Dissident bleibt den ethischen Werten verbunden. Die Grösse einer Demokratie zeigt sich darin, den Dissident nicht wie den Delinquent zu behandeln.

 

Die von Menschen ausgeübte Gewalt ist kein tierisches Verhalten. Sie ist noch schlimmer, sie ist ein unmenschliches Verhalten. Wir müssen uns dieser tragischen Tatsache stellen: nur der Mensch ist der Unmenschlichkeit fähig.

 

Der Mensch ist nicht von Natur aus gewalttätig, sondern aufgrund seiner Freiheit. Genauso ist der Mensch nicht von Natur aus Gut, sondern aufgrund seiner Freiheit. Und er muss Kraft seines Willens entscheiden zwischen Gewalt und Güte.

 

Das Böse existiert in der Welt. Wollten wir aber das Böse durch Gewalt vertreiben, laufen wir stattdessen grosse Gefahr, das Böse zu vermehren.

 

Es kann sein, dass der Mensch Gewalt benutzt um etwas Gutes zu erreichen, aber die Gewalt verleitet ihn dazu Böses zu tun.

 

Man sagt, der Zweck heiligt die Mittel, das will heissen, ein gerechtes Ziel rechtfertigt die Gewalt als Mittel. In Wirklichkeit ist es gerade umgekehrt. Die Geschichte beweisst es immer wieder, das Gewalt als Mittel das gerechteste Ziel ungerecht werden lässt. Man muss endlich einsehen, wenn man Gerechtigkeit will, muss man gerechte Mittel einsetzen; wer Frieden will, muss friedliche Mittel einsetzen.

 

Man sagt, Gewaltfreiheit hat seine Grenzen. Aber statt sich mit den Möglichkeiten der Gewaltfreiheit auseinanderzusetzen, beschäftig man sich mit ihren Grenzen. In Wirklichkeit muss man Gewaltfreiheit ausüben, um ihre Möglichkeiten kennenzulernen. Natürlich stösst man an ihre Grenzen, aber man lernt sie weiter hinaus zuschieben.

 

Absolute Gewaltlosigkeit ist ein Utopie, da es sie an keinem Ort gibt. Gewalt ist auch eine Utopie, eine weitaus gefährlichere. Gewalt ist überall, aber an keinem einzigen Ort erreicht sie das Ziel, welches sie rechtfertigen sollte. Niemals und nirgends ermöglicht Gewalt die Gerechtigkeit die sie errichten wollte.

 

Seit langer Zeit, sehr langer Zeit, musste sich der Mensch gegen die verschiedensten Gefahren der Natur schützen; Heute ist es der Mensch, der die Natur in grosse Gefahr bringt. Dies ist eine grundlegend neue Situation die ein Überdenken der ethischen Maximen fordert, die das menschliche Handeln mit seinen Folgen betrifft. Die Verschmutzung der Luft, des Wassers und der Erde fügt den Menschen Gewalt zu, und diese Gewalt ist tödlich. Deshalb ist der Schutz der Erde/Natur keine Sentimentalität sondern ein ethisches Muss, ein kategorischer Imperatif.

 

Gewalt verneint das tiefe Bestreben des Menschen mit anderen Menschen in eine Beziehung zu treten, die von Wertschätzung, Respekt und gegenseitigem Wohlwollen geprägt ist. Gewalt zerstört die Werte die Menschlichkeit ausmachen. Gewalt ist die Verneinung von Menschlichkeit. Deshalb ist Gewaltlosigkeit das Fundament der Menschlichkeit.

 

 

 

3.         Angriffsziel der Gewaltlosigkeit

Lanza del Vasto, Die Macht der Friedfertigen, S. 287 und 293, Kerle Verlag 1982

 

 

Wo soll ich den Gegner schlagen ?

-          In der Mitte.

Was heisst das? Auf den Kopf ?

-          Nein

Auf die Brust ?

-          Nein.

In den Bauch ?

-          Nein.

Wo dann ?

-          In der Mitte: in seinem Gewissen.

 

Von der taktischen Regel

 

Die taktische Regel der Gewaltlosigkeit wird im Evangelium (Mt.5, Lk.6) mit einer Deutlichkeit beschrieben, die nichts zu wünschen übrig lässt: „Wer dich auf die rechte Wange schlägt, dem halte auch die andere hin, und dem, der dich vor Gericht bringen und deinen Rock nehmen will, dem lass auch den Mantel. Und wer dich nötigt, eine Meile weit zu gehen, mit dem geh zwei.“

Was will diese Regel? Sie will den Feind dazu führen, doppelt soviel Schaden anzurichten, wie er vorhatte, und das mit einer enttäuschenden Leichtigkeit.

Warum ?

Damit er ins Leere fällt und dadurch Klarheit bekommt. Einer, der sich darauf vorbereitet hat, gegen ein Hindernis zu rennen, und keines findet, stürzt ins Leere und hält inne. Er wird notwendigerweise auf sich selbst zurückgeworfen und muss nachdenken.

So brutal und von Leidenschaften verblendet der Angreifer auch sein mag, er ist ein Mensch, und der Geist der Gerechtigkeit wohnt in ihm, ob er will oder nicht. Wenn er dich zu Unrecht schlägt, weiss er sehr wohl, was er verdient, und erwartet es auch. Doch anstatt ihm Gleiches mit Gleichem zu vergelten, versuchst du ihn dazu zu verleiten, dir auch noch das aufzuladen, was er eigentlich selber erleiden müsste. Es kann dann gar nicht anders sein, als dass früher oder später in seiner finsteren Seel etwas aus dem Gleichgewicht gerät.

 

Von den Unsicherheiten und den Gefahren

 

Ja, aber was ist, wenn der Idiot, anstatt mir einfach eine zweite Ohrfeige zu geben, mir gleich hundert Stück verabfolgt, ehe er merkt, dass er so nicht weitermachen kann?

Oder wenn ihm erst die Augen aufgehen, nachdem er mir mit dem Vorschlaghammer einen Schlag auf den Schädel versetzt hat ?

Oder wenn der andere statt der acht Tage, die ich fasten wollte, um ihn zu erweichen, acht Monate braucht, um zur Vernunft zu kommen ?

Was dann ?

Ja, mein Freund, das ist möglich. Das Geringste, was Ihnen passieren kann, ist, dass Sie viel Leid ertragen müssen.

Aber wenn Sie Wagnis, Leid und Tod vermeiden wollen, dann sind Sie weder für die Gewalt noch für die Gewaltlosigkeit zu gebrauchen. Dann ist es das Beste, wenn Sie Ihre Pantoffeln anziehen und in ihrem Zimmer bleiben, bis Ihnen Grippe, Atomspaltung oder Altersschwäche zeigen, was Ihre Vorsicht wert war.

 

Lanza del Vasto, Die Macht der Friedfertigen, S. 287 und 293, Kerle Verlag 1982