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1.  Gemeinwohl-Ökonomie (Zs-fassung von www.gemeinwohl-oekonomie.de)

2.  Gemeinwohl-ÖKonomie - das Wirtschaftsmodell der Zukunft (C.Felber, Deuticke Verlag 2010)

3.  Kann Kapitalismus moralisch sein ? (A.Comte-Sponville, Diogenes Verlag, 2009)

4. Drei Predigten über den Besitz. Albert Schweitzer 1919.

 

 

1.   Gemeinwohl-Ökonomie

www.gemeinwohl-oekonomie.org

Idee

Die „Gemeinwohl-Ökonomie“ ist ein wirtschaftliche Systemalternative zu kapitalistischer Markt- und zentraler Planwirtschaft, ein vollständiger Dritter Weg und zum Teil auch eine Synthese aus den beiden großen historischen Entwürfen.

Der Autor und politische Aktivist Christian Felber hat in seinem Buch „Neue Werte für die Wirtschaft. Eine Alternative zu Kommunismus und Kapitalismus“ 2008 die Grundlagen ausgearbeitet. Daraufhin bildete sich ein Kreis von UnternehmerInnen, die das Modell gemeinsam mit Felber weiterentwickelt und mit einem Namen versehen haben.

Die „Gemeinwohl-Ökonomie“ ist tendenziell eine Form der Marktwirtschaft, in der jedoch die Motiv- und Zielkoordinaten des (privaten) unternehmerischen Strebens „umgepolt“ werden – von Gewinnstreben und Konkurrenz auf Gemeinwohlstreben und Kooperation.

Zeitgenössische Forschungsergebnisse zeigen, dass diese Alternative entgegen tief sitzender Vorurteile gut mit der „Menschennatur“ vereinbar ist. Mehr noch: Die Gemeinwohl-Ökonomie baut auf genau den Werten auf, die unserer zwischenmenschlichen Beziehungen gelingen lassen: Vertrauensbildung, Verantwortung, Mitgefühl, gegenseitige Hilfe und Kooperation.

Diese humanen und nachhaltigen Verhaltensweisen werden gemessen („Gemeinwohl-Bilanz“) und belohnt, mit einer Fülle von Anreizen und „systemischen Aufschaukelungen“: das Marktstreben wird „ethisch umgepolt“.

Heute gilt Finanzgewinn als allentscheidendes Kriterium für unternehmerischen Erfolg. In der Gemeinwohl-Ökonomie muss nicht „letztendlich das Geld“ stimmen, sondern die Gemeinwohl-Bilanz. Dann geht es den Menschen und allen Wesen gut.

Das Modell der Gemeinwohl-Ökonomie – 15 Eckpunkte

Wertebasis der Gemeinwohl-Ökonomie

  1. Gemeinwohlstreben und Kooperation
  2. Gemeinwohlbilanz
  3. Ziel und Zweck des Wirtschaftens
  4. Rechtlicher Anreizrahmen für Gemeinwohlstreben und Kooperation
  5. Verwendung bilanzieller Überschüsse
  6. Optimale Größe jenseits von Wachstums- und Fresszwang
  7. Begrenzung von Einkommens- und Vermögensungleichheiten
  8. Vergesellschaftung und regionale Wirtschaftsparlamente
  9. Demokratische Allmenden
  10. Demokratische Bank
  11. Demokratie neu denken und ergänzen
  12. Demokratische Konvente
  13. Bildung neu denken und ergänzen
  14. Andere Führungsqualitäten


1. Die Gemeinwohlökonomie beruht auf denselben mehrheitsfähigen Werten, die unsere Beziehungen gelingen lassen: Vertrauensbildung, Kooperation, Wertschätzung, Demokratie, Solidarität. (Nach aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen sind gelingende Beziehungen das, was Menschen am glücklichsten macht und am stärksten motiviert.)

 

 2. Der rechtliche Anreizrahmen für die Wirtschaft wird von Gewinnstreben und Konkurrenz umgepolt auf Gemeinwohlstreben und Kooperation. Unternehmerischer Erfolg wird umdefiniert von Gewinn- auf Gemeinwohlstreben.

 

 3. Das Gemeinwohl wird in einem Demokratischen Konvent definiert und in der Verfassung verankert. Gemessen wird das Gemeinwohl in der neuen Hauptbilanz aller Unternehmen: der Gemeinwohlbilanz. Die Gemeinwohlbilanz besteht aus „harten“ = messbaren Kriterien für soziale Verantwortung, ökologische Nachhaltigkeit, demokratische Mitbestimmung und Solidarität gegenüber allen „Berührungsgruppen“ (Stakeholder).

 

4. Die Finanzbilanz wird zur Nebenbilanz. Kapital wird vom Zweck zum Mittel. Es dient nur noch dazu, den Unternehmenszweck (aller Unternehmen) zu erreichen. Darin enthalten sind Einkommen aller im Unternehmen Beschäftigten bis zum 20-fachen des gesetzlichen Mindestlohnes.

 

5. Die Gemeinwohlbilanz besteht aus verbindlichen Mindeststandards und Anreizen für freiwillige Höherleistungen. Die sozialsten, ökologischsten, demokratischsten und solidarischsten Unternehmen erhalten jedoch rechtliche Vorteile und können dadurch ihre – höheren – Kosten leichter decken: niedrigere Steuern, Zölle, günstigere Kredite, Vorrang beim öffentlichen Einkauf und bei Forschungsprogrammen, …

 

6. Bilanzielle Überschüsse dürfen verwendet werden für: Investitionen (mit sozialem und ökologischem Mehrwert), Rückzahlung von Krediten, Rückstellungen in einem begrenzten Ausmaß; Ausschüttung an die MitarbeiterInnen (bis zum 20-fachen des Mindestlohns) sowie für zinsfreie Kredite an Mitunternehmen; nicht verwendet werden dürfen Überschüsse für: Ausschüttung an Personen, die nicht im Unternehmen mitarbeiten; feindliche Aufkäufe anderer Unternehmen; Investitionen auf den Finanzmärkten (diese gibt es nicht mehr).


7. Da Gewinn nur noch Mittel, aber kein Ziel mehr ist, können Unternehmen ihre optimale Größe anstreben. Sie müssen nicht mehr Angst haben, gefressen zu werden und nicht mehr wachsen, um größer, stärker oder profitabler zu sein als andere. Alle Unternehmen sind vom allgemeinen Wachstums- und vom wechselseitigen Fresszwang erlöst.


8. Die Einkommens- und Vermögensungleichheiten werden begrenzt: die Maximal-Einkommen auf das 20-fache des gesetzlichen Mindestlohns; Privatvermögen auf 10 Millionen Euro; das Schenkungs- und Erbrecht auf 500.000 Euro pro Person; bei Familienunternehmen auf zehn Millionen Euro pro Person. Das darüber hinaus gehende Erbvermögen wird als „Demokratische Mitgift“ an alle Nachkommen der Folgegeneration verteilt: gleiches „Startkapital“ bedeutet höhere Chancengleichheit.

 


9. Großunternehmen über 250 Beschäftigten gehen teilweise in das Eigentum der Beschäftigten und der Allgemeinheit über, über 5.000 Beschäftigten zu hundert Prozent. Die Öffentlichkeit wird durch dafür gewählte Abgeordnete „regionaler Wirtschaftsparlamente“ vertreten. Die Regierung hat keinen Zugriff auf öffentliche Unternehmen.


10. Das gilt auch für die „Demokratischen Allmenden“, die dritte Eigentumskategorie neben der großen Mehrheit (kleiner) Privatunternehmen und eines kleinen Anteils von gemischt-besessenen Großunternehmen. „Demokratische Allmenden“ sind Grundversorgungsbetriebe im Bildungs-, Gesundheits-, Sozial-, Mobilitäts-, Energie- und Kommunikationsbereich: die „Daseinsvorsorge“


 

11. Eine wichtige Demokratische Allmende ist die „Demokratische Bank“. Sie dient wie alle Unternehmen dem Gemeinwohl und wird wie alle Demokratischen Allmenden vom demokratischen Souverän kontrolliert und nicht von der Regierung. Ihre Kernleistungen sind garantierte Sparvermögen, kostengünstige Kredite, ökosoziale Risikokredite sowie kostenlose Girokonten. Die Finanzmärkte in der heutigen Form wird es nicht mehr geben.


 

12. Die repräsentative Demokratie wird ergänzt durch direkte Demokratie und partizipative Demokratie. Der Souverän muss seine Vertretung korrigieren, selbst Gesetze initiieren und beschließen und wichtige Bereiche der Wirtschaft – wie die Banken – kontrollieren können.

 


13. Neben dem demokratischen Wirtschafts- oder Gemeinwohlkonvent werden weitere Konvente für die Vertiefung der Demokratie einberufen: Bildungskonvent, Medienkonvent, Daseinsvorsorgekonvent.

 


14. Um die Werte der Gemeinwohl-Ökonomie ähnlich tief in der neuen Generation zu verankern wie heute das sozialdarwinistische und kapitalistische Menschenbild, schlage ich fünf neue Pflichtgegenstände vor: Gefühlskunde, Wertekunde, Kommunikationskunde, Demokratiekunde und Naturerfahrens- oder Wildniskunde.

 


15. Da in der Gemeinwohl-Ökonomie unternehmerischer Erfolg eine ganz andere Bedeutung haben wird als heute und deshalb ganz andere Führungsqualitäten gefragt sein werden, werden die sozial verantwortlichsten und kompetentesten, die zum Mitgefühl und zur Empathie fähigen, die über sich hinaus sozial und ökologisch denkenden und fühlenden Menschen tendenziell nachgefragt werden und als Vorbilder gelten.

 

 

2.  Gemeinwohl-ÖKonomie - das Wirtschaftsmodell der Zukunft

C. Felber, Deuticke Verlag 2010

 

 

Die Gemeinwohl-Ökonomie fördert und belohnt dieselben Verhaltensqualitäten und Werte, die unsere menschlichen und ökologischen Beziehungen gelingen lassen. Vertrauensbildung, Wertschätzung, Kooperation, Solidarität und Teilen.

Die freie Marktwirtschaft beruht hingegen auf den Grundwerten Gewinnstreben und Konkurrenz. Die Kombination aus Gewinnstreben und Konkurrenz befördert jedoch Egoismus, Gier, Geiz, Neid, Rücksichtslosigkeit und Verantwortungslosigkeit.

 

Die Werte sind wie ein Leitstern, der unserem Lebensweg eine Richtung vorgibt. Aber wenn unser Leitstern des Alltags in eine ethische Richtung weist – Vertrauensbildung, Kooperation, Teilen – und plötzlich in einem Teilbereich des Lebens, der Marktwirtschaft, ein zweiter Leitstern in die exakt entgegengesetzte Richtung –Egoismus, Konkurrenz, Gier – dann bricht in uns ein heilloser Widerspruch auf.

 

Bis heute bildet die Annahme, dass die Egoismen der Einzelakteure durch Konkurrenz zum größtmöglichen Wohl aller gelenkt würden, den Legitimationskern der kapitalistischen Marktwirtschaft. Aus meiner Sicht ist diese Annahme jedoch ein Mythos und grundlegend falsch.

 

Ein Machtgefälle in privaten Tauschbeziehungen wäre nicht das geringste Problem, wenn alle einander mit Achtung und dem Vorsatz der Wahrung der Würde entgegen treten würden. Denn dann würde die mächtigere Person der weniger mächtigen Person auf Augenhöhe begegnen, sie sehen und ihre Bedürfnisse und Gefühle genauso ernst nehmen wie die eigenen; und erst mit dem Ergebnis zufrieden sein, wenn beide damit gut leben können. Doch in der kapitalistischen Marktwirtschaft werden die Mächtigeren geradewegs dazu ermutigt, ihren Vorsprung, das Machtgefälle, auszunützen, denn daraus – aus dem Streben nach dem eigenen Vorteil und der daraus resultierenden Konkurrenz- ergibt sich erst die Effizienz des freien Marktes…. Eines noch: wenn wir auf dem Markt ständig befürchten müssen, von unseren Nächsten übervorteilt zu werden, sobald sie dazu in der Lage sind, wird noch etwas ganz Wesentliches systematisch zerstört: das Vertrauen. Die Ökonomen sagen: Das macht nichts, denn in der Wirtschaft geht es um Effizienz. Doch das ist eine Perversion der Dinge, denn das Vertrauen ist das höchste soziale und kulturelle Gut, das wir kennen. Vertrauen ist das, was die Gesellschaft im Innersten zusammenhält – nicht die Effizienz.

 

Die 10 Krisen des Kapitalismus

1.       Konzentration und Missbrauch von Macht

2.       Ausschaltung des Wettbewerbs und Kartellbildung

3.       Standortkonkurrenz

4.       Ineffiziente Preisbildung

5.       Soziale Polarisierung und Angst

6.       Nichtbefriedigung von Grundbedürfnissen und Hunger: Die Befriedigung der Grundbedürfnisse ist nicht  das Ziel des Kapitalismus, sondern die Vermehrung des Kapitals. Das führt in vielen Fällen dazu, dass Grundbedürfnisse, die mit keiner Kaufkraft ausgestattet sind, nicht gestillt werden (Nahrung, Bildung, medizinische Versorgung)

7.       Umweltzerstörung

8.       Sinnverlust

9.       Werteverfall

10.   Ausschaltung der Demokratie

 

Kapital soll nur ein Mittel sein, aber seine Vermehrung nicht der Zweck eines Unternehmens oder einer Unternehmensgründung; Kapital soll möglichst gleich verteilt sein, insbesondere beim Eintritt ins Erwerbsleben (Chancengleichheit); das Erwerben von Kapitalbesitz soll grundsätzlich an persönliche Leistung und Verantwortung gekoppelt sein; die Kapitalrendite soll denjenigen zugutekommen, die zu ihrer Entstehung durch Arbeit beigetragen haben.

Eigentum : Relative Begrenzung der Einkommensungleichheit (z.B. zwanzigfach), Begrenzung der Privatvermögen (z.B. 10 Mio. €), Grössengrenze für Unternehmen (z.B. ab 250 Mitarbeiter 25% Stimmrechte an Mitarbeiter, ab 5000 Mitarbeiter zu 100% in Eigentum der Mitarbeiter/Allgemeinheit), Begrenzung des Erbrechts (z.B. 500.000€) und demokratische Mitgift z.B. 200.000€)

Freiheit und Gleichheit: Gleichheit im Sinne des gleichen Rechts aller Menschen auf Leben, Chancen und Freiheiten ist ein höherer Wert als Freiheit, weil die zu große Freiheit der einen die Freiheit anderer gefährdet. Gleichheit ist ein absolutes Prinzip, Freiheit ein relatives.

 

Die Gemeinwohl-Ökonomie – der Kern

Umpolung des Anreizrahmen: In Zukunft soll auch in den Wirtschaftsbeziehungen die humanen Grundwerte, die das menschliche und gemeinschaftliche Leben gelingen lassen, gefördert und belohnt werden.

Unternehmerischen Erfolg neu definieren: Ein Unternehmen ist nicht länger erfolgreich, wenn es einen hohen Finanzgewinn erzielt, sondern wenn es einen größtmöglichen Beitrag zum Gemeinwohl leistet. Da es Konsens ist, dass die Wirtschaft als Ganze für das Wohl aller sorgen soll, sollten wir das Streben von Unternehmen grundsätzlich so ausrichten, dass sie diesen Wunsch nicht nur als unsicheres Nebenprodukt abwirft, sondern direkt als Ziel anpeilen.

Gemeinwohl definieren durch Wirtschaftskonvent. Die Grundwerte eines demokratischen Gemeinwesens sind in den meisten Verfassungen am Beginn verankert. Und spätestens hier wird auch ersichtlich, das Finanzgewinn kein Wert an sich sein kann, weil er von den Einzelnen in der Hoffnung auf die Befriedigung anderer (Grund-)Bedürfnisse.

Gemeinwohl messen. Wer sich sozialer, ökologischer, demokratischer, solidarischer verhält, sollte es leichter haben als der Asoziale und Rücksichtlose! Er müsste – nach heutigem Verständnis – einen Wettbewerbsvorteil genießen.

Die Gemeinwohlbilanz: die Gemeinwohlbilanz übersetzt die zentralen gesellschaftlichen Wertvorstellungen, die im Wirtschaftskonvent definiert wurden, in messbare Kriterien. Dadurch kann klar und unmissverständlich festgestellt werden, wie sozial verantwortlich, ökologisch nachhaltig, demokratisch und solidarisch ein Unternehmen sich verhält.                                                                                       

Gemeinwohlstreben belohnen: niedrigerer Mehrwertsteuersatz (0-100%), niedriger Zolltarif (0-1000%), günstigere Kredit bei der Demokratischen Bank, Vorrang bei öffentlichen Einkauf und Auftragsvergabe, Forschungskooperationen mit öffentlichen Universitäten, direkte öffentliche Förderung

Gewinn als Mittel : Da Gewinne sowohl nützlich als auch schädlich sein können, werden sie differenziert auf bestimmte Verwendungen begrenzt, um das Überschießen des Kapitalismus – Akkumulation um der Akkumulation willen – in eine sinnvollere Richtung umlenken.

Erlaubte Verwendungen von Überschüssen: Investitionen sollen nur noch getätigt werden, die einen sozialen oder ökologischen Mehrwert schaffen. Dafür müsste – analog zur Kostenkalkulation von heute – eine Gemeinwohlkalkulation angefertigt werden. Rückstellungen für Verluste. Aufstockung des Eigenkapitals auf 100%. Ausschüttung an die Mitarbeiter. Leihgabe an Mitunternehmern.

Nicht erlaubte Verwendungen von Überschüssen: Ausschüttung an Eigentümer, die nicht im Unternehmen arbeiten; Firmenaufkäufe- und Fusionen; Finanzinvestments, Parteispenden;

 

Die demokratische Bank

Ziele und Leistungen : Kostenloses Girokonto, Unbeschränkte Garantie der Spareinlagen, kostengünstige Kredite für Privathaushalte und Unternehmen bei ökonomischer Bonität und Schaffung von sozialem und ökologischem Mehrwert der Investition, flächendeckendes Filialnetz, kostengünstige Kredite an den Staat, Wechsel von Währungen

 

3.  Kann Kapitalismus moralisch sein ?

A. Comte-Sponville, Diogenes Verlag 2009

 

In dem Masse, wie den jungen Leuten heute das Gefühl verlorengeht, sie könnten ihr Schicksal kollektive beeinflussen – was die eigentliche Aufgabe der Politik ist-, neigen sie dazu, sich in die Privatsphäre ihrer moralischen Werte zurückzuziehen.

Heute ist die Schwachstelle unserer Gesellschaft nicht die Moral, wie manchmal zu hören ist, sondern die Politik.

Die politische Frage ist, sehr vereinfacht gesagt, die Frage nach Recht und Unrecht. Die moralische Frage ist die Frage nach Gut und Böse, Menschlichkeit und Unmenschlichkeit. Die spirituelle Frage ist die Frage nach dem Sinn, die Sinnfrage.

Der Westen hat gewiss noch Gegner. Der Kapitalismus jedoch nicht; oder doch, er hat auch Gegner, aber diese haben kaum noch einen glaubhaften Gegenentwurf zu bieten, den man an seine Stelle setzen wollte. Sagen wir, dass der Kapitalismus trotz seiner unzähligen Schwächen und Ungerechtigkeiten fast ein ideologisches Monopol besitzt.

Es regt sich der Verdacht, der Kapitalismus könnte umsonst gesiegt haben. Wozu siegen, wenn man nicht weiß, wofür leben? Der Kapitalismus stellt sich nicht die Frage. Das ist ein Teil seiner Kraft: Er braucht keinen Sinn um zu funktionieren. Doch die Menschen schon. Und die Kulturen auch. Hat der Westen der Welt noch etwas zu bieten?

Der Einzelne kann noch an Gott glauben, unsere Gesellschaft kann ihren Zusammenhalt nicht mehr auf ihn gründen. Dadurch entsteht eine große Leere, die den Gesellschaftskörper schwächt. Das ist die Bedeutung, die Nietzsches Worte heute haben: Gott ist tot.

Was hat das mit der Rückkehr der Moral zu tun? Das falle doch mehr in die Zuständigkeit der Spiritualität als in die der Moral…..Es fällt in die Zuständigkeit beider. In die der Spiritualität, weil es eine Frage des Sinns, der Bindung, der Gemeinschaft ist; aber auch in die der Moral, weil es hier um Fragen von Regeln und Werten geht………..

Auf die Frage „Was soll ich tun?“antwortet Gott nicht mehr, oder seine Antworten werden gesellschaftlich immer weniger gehört. Trotzdem stellt sich die Frage noch immer…. Wir brauchen die Moral umso nötiger, je weniger Religion wir haben –weil wir auf die Frage „was soll ich tun?“ unbedingt eine Antwort finden müssen, wenn Gott sie uns nicht gibt.  Die Moral ist in die Religion eingebettet und wird dadurch zweitrangig. Erst wenn die Religion verschwindet, rückt die moralische Frage wieder in den Vordergrund.

Weil das Besondere des moralischen Werts einer Handlung die Uneigennützigkeit ist.

  

Wirtschaftlich-technowissenschaftliche Ordnung

Rechtlich-politische Ordnung

Moralische Ordnung

Ethische Ordnung

 

Die technowissenschaftliche Ordnung gewinnt ihre innere Struktur aus dem Gegensatz zwischen dem Möglichen und dem Unmöglichen (S 55). Wenn wir die technowissenschaftliche Ordnung ihrer eigenen Dynamik überlassen, wird alles, was möglich ist, auch gemacht; das Mögliche aber ist heute erschreckender als je zuvor.

 

Die rechtlich-politische Ordnung gewinnt ihre innere Struktur aus dem Gegensatz zwischen dem Legalen und Illegalen. Rechtlich gibt es das, was das Gesetz erlaubt (das Legale), und das, was das Gesetz verbietet (das Illegale). Politisch gibt es diejenigen, die in der Lage sind, die Gesetze zu machen (in unseren parlamentarischen Demokratien die Mehrheit), und diejenigen, die nicht in der Lage sind das Gesetz zu machen (die Minderheit, die Opposition). Das bezeichnen wir bei uns als demokratische Ordnung (S 58). Wir haben also zwei Gründe, diese rechtlich-politische Ordnung zu begrenzen: einen individuellen, um dem Gespenst des legalistischen Lumpen zu entgehen, und einen kollektiven, um dem Gespenst des Volkes zu entgehen, das alle Rechte hat, auch zum Schlimmsten.

Über das Wahre und Falsche stimmt man ebenso wenig ab wie über das Gute und das Böse. Deshalb ersetzt die Demokratie weder den Sachverstand noch das Gewissen.

An dem Tag, an dem unsere Mitbürger zu der Überzeugung gelangen, dass alles, was legal ist, zwangsläufig auch moralisch ist, mit anderen Worten, an dem Tag, an dem die Legalität an die Stelle der Moralität, der Sittlichkeit, tritt, an dem die Rechte an die Stelle der Pflichten treten, wird es keine Sittlichkeit, kein Gewissen und keine Pflichten mehr geben (S 118). Ein Gesetz sagt nicht, was gut oder böse ist: Es sagt lediglich, was der Staat erlaubt und was er verbietet. Das ist keineswegs das Gleiche!

Solidarität : eine politische Tugend. Sie sagt im Wesentlichen: Da wir nun einmal alle Egoisten sind, versuchen wir doch, gemeinsam und intelligent Egoisten zu sein, nicht töricht und gegeneinander

 

Die Ordnung der Moral. Sie gewinnt ihre innere Struktur aus dem Gegensatz zwischen Gut und Böse, Pflicht und Verbot. Die Moral ist die Gesamtheit unserer Pflichten – mit anderen Worten, die Gesamtheit der Verpflichtungen und Verbote, die wir uns selbst auferlegen; Die Moral ist historischen und kulturellen Ursprungs, also auch relativ: Sie ist die Gesamtheit der Normen, die sich die Menschheit gegeben hat (in allen Kulturen der Erde verschieden und zugleich konvergent. (S 72). Das Gewissen eines ehrlichen Menschen ist anspruchsvoller als der Gesetzgeber; der Einzelne hat mehr Pflichten als der Bürger.

Großzügigkeit: eine moralische Tugend. Sie sagt im Prinzip: Da wir alle Egoisten sind, versuchen wir doch individuell, es ein bisschen weniger zu sein.

 

Die ethische Ordnung gewinnt ihre innere Struktur aus dem Gegensatz zwischen Freude und Trauer. Ich schlage vor, auch auf die Gefahr hin, sehr zu vereinfachen, mit Moral all das zu bezeichnen, was wir aus Pflichtgefühl tun, und mit Ethik all das, was wir aus Liebe tun. Es begegnen sich in dieser Ordnung die drei Lieben: die Wahrheitsliebe, die Freiheitsliebe und die Menschen- oder Nächstenliebe (S 78)

Wir brauchen alle vier Ordnungen alle zugleich in ihrer zumindest relativen Unabhängigkeit (jede ihrer eigenen Logik folgend) und ihrer Wechselwirkung (sie können nicht wirken ohne die anderen). Die vier Ordnungen sind notwendig, keine ist hinreichend.

Die Schwierigkeit besteht darin, dass wir uns alle stets in den vier Ordnungen zugleich befinden und dass es keine Garantie für eine einheitliche Ausrichtung der vier gibt, sind sie in ihrem Inneren doch alle unterschiedlichen und unabhängigen Strukturprinzipien unterworfen. Natürlich kommt es vor, dass sie gleichgerichtet sind, dann ist es gut. Das sind die Augenblicke in denen alles leicht von der Hand geht. Das sind die glücklichen Augenblicke. Wenn nicht, müssen sie zwischen den vier Ordnungen wählen – entscheiden, welche der vier Ordnungen Sie in welcher Situation vorrangig berücksichtigen wollen. Diese Wahl nenne ich unsere Verantwortung. Sie fällt in das Gebiet der Entscheidugnslogik: Es geht nicht darum, ein Problem zu lösen, sondern eine Wahl zu treffen, was nicht ohne Hierarchie und Verzicht geht … Kompetent zu sein heißt, ein Problem lösen zu können. Verantwortlich zu sein heißt, eine Entscheidung treffen zu können, auch in unübersichtlichen und ungewissen Situationen, und ganz besonders, wenn diese Entscheidung, wie es fast immer der Fall ist, in mehreren Ordnungen zugleich gefällt werden muss. Verantwortung heißt, die Macht die wir haben – alle Macht, die wir haben-, in jeder dieser Ordnungen anzunehmen, ohne die Ordnungen zu verwechseln, ohne sie alle auf eine zu reduzieren, und, falls sie in Widerspruch zueinander geraten, von Fall zu Fall zu entscheiden, an welcher dieser vier Ordnungen wir uns in der gegebenen Situation vorrangig halten wollen.

 

Moral und Kapitalismus. Vorzugeben, dass der Kapitalismus moralisch wäre, oder sogar zu wollen, dass er es sei, das hieße vorzugeben, dass die Ordnung Nr. 1 ihrer Natur nach der Ordnung Nr. 3 unterworfen wäre, was mir wegen der Art ihrer jeweiligen inneren Struktur ausgeschlossen scheint. Das Mögliche und Unmögliche, das möglicherweise Wahre und zweifelsfrei Falsche haben nichts mit dem Guten und Bösen zu tun.

 

Die Wirtschaft ist keine Person, die einen Willen hat, Vorlieben, Ziele. Wie sollte sie dann eine Moral haben? Es ist an uns, die wir zweifellos Subjekte sind, hier und jetzt moralisch zu sein, ohne davon zu träumen, dass die Wirtschaft in ihrer Eigenschaft als Prozess es werden könnte!

 

In der wirtschaftlich-technowissenschaftlichen Ordnung ist nichts moralisch. Und gleichzeitig ist darin, streng betrachtet, nichts jemals unmoralisch.

 

Wenn wir wollen, dass es eine Moral in der kapitalistischen Gesellschaft gibt (und es muss sie unbedingt auch in der kapitalistischen Gesellschaft geben), dann muss diese Moral ihren Ursprung, wie in jeder Gesellschaftsform, außerhalb der Wirtschaft haben.

 

Der Kommunismus hat, so wie ihn Marx versteht, nur dann Aussicht auf Erfolg, wenn zumindest eines geschieht: dass die Menschen aufhören, egoistisch zu sein, und endlich das gemeinschaftliche Interesse über ihr besonderes Interesse stellen. Wenn es dazu käme, hätte der Kommunismus eine Chance. Andernfalls nicht. So musste er zwangsläufig scheitern, weil die Menschen nun einmal egoistisch sind und in ihrer großen Mehrheit ihr besonderes Interesse über ihr gemeinschaftliches stellen. (S 91) So war es dann auch fast unvermeidlich, dass der Kommunismus totalitär wurde, musste er doch durch Zwang verordnen, was die Moral nicht erreichte. Es galt sich von dem Traum zu verabschieden oder die Menschen zu verändern. Also wurde die Veränderung in Angriff genommen.

 

Die besondere Logik des Kapitalismus, seine wirkliche und wirksame Natur, seine ihm innewohnende Kraft besteht darin, dass er, um einigermaßen zu funktionieren, von den Individuen nur verlangt, genau das zu sein, was sie sind : Seid egoistisch, kümmert euch, wenn möglich auf intelligente Weise, um Euer Interesse, und alles wird, wenn auch nicht zum Besten in der besten aller Welten, denn das ist nur ein Traum, so doch fast fehlerlos bestellt sein in der effizientesten aller real existierenden Wirtschaftswelten, dem Markt also.

 

Der Kapitalismus ist ein Wirtschaftssystem, das sich auf den Besitz der Produktions- und Tauschmittel, auf die Freiheit des Marktes und auf die Lohnarbeit gründet. Das Besondere des Kapitalismus ist nicht die Schaffung eines Mehrwerts durch die Arbeitenden, sondern dessen zumindest teilweise Abschöpfung durch die Besitzer der Produktionsmittel. (S 94f) In einem kapitalistischen Land dienen die Lohnarbeiter den Kunden, die ihrerseits den Aktionären dienen. Das nennen wir Handel.

 

Der Kapitalismus ist ein Wirtschaftssystem, das dazu dient, mit Reichtum weiteren Reichtum zu produzieren. Aus diesen Gründen kommt in einem kapitalistischen Land Geld zu Geld, mit anderen Worten, nicht zu denen, die es am meisten benötigen (den Ärmsten), sondern zu denen, die es, zumindest objektiv betrachtet, am wenigsten brauchen, weil sie davon schon am meisten haben. Der beste Weg, in einem kapitalistischen Land reicher zu werden, ist, reich zu sein. Das hat Marx schockiert und mit ihm alle Sozialutopisten des 19.Jh.

 

Ein Wirtschaftssystem ist dazu da, Reichtum zu schaffen – wenn möglich zu minimalen sozialen, politischen und ökologischen Kosten. Unter diesen Gesichtspunkten war der Kapitalismus bei weitem erfolgreicher als der Kollektivismus. Ein Irrtum wäre es aber zu glauben, Reichtum genüge, um eine menschlich erträgliche Zivilisation oder auch nur Gesellschaft zu schaffen. Deshalb brauchen wir auch das Recht und die Politik. Und da Politik und Recht auch nicht ausreichen, brauchen wir noch Moral, Liebe, Spiritualität.

 

Die Moral der Politik unterzuordnen, wie es Lenin und Trotzki taten, ist Barbarei. Doch die Politik und das Recht einer moralisch gut gemeinten Utopie unterzuordnen (einer Gesellschaft in Frieden, Überfluss, Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, Glück,….), wie es Marx wollte und sicherlich auch Lenin und Trotzki, wäre eher Blauäugigkeit. Die Ergebnisse dieser schrecklichen Kombination sind bekannt.

 

Markt, Liberalismus, Ultraliberalismus. Aber auch der Markt hat seine Grenze, und die ist streng: Er taugt nur für Waren, mit anderen Worten, für das was zu verkaufen ist. Die Anerkennung dieser Grenze unterscheidet nach meinem Dafürhalten, die Liberalen von den Ultraliberalen. Wenn Sie glauben, dass sich alles verkaufen und alles kaufen lässt, sind Sie ein Ultraliberaler. Wenn Sie dagegen der Meinung sind, dass es Dinge gibt, die nicht zum Verkauf stehen (Leben, Gesundheit, Gerechtigkeit, Freiheit, Würde, Bildung, Liebe, Welt…) dann lässt sich nicht alles dem Markt unterwerfen. Wir müssen uns der Vermarktung unseren ganzen Lebens widersetzen, individuell (das ist eine Aufgabe der Moral und der Ethik) und kollektiv (eine Aufgabe der Politik). Beides notwendig. Aber auf gesellschaftlicher Ebene ist die Politik am wirksamsten: Wir brauchen einen Staat, um den nicht der Warenwelt angehörenden Teil der Solidarität zu organisieren – um eben über das zu wachen, was nicht zum Verkauf steht.

 

Infolgedessen muss sich die Politik einmischen – nicht um den Markt abzuschaffen, sondern um von außen seine Auswirkungen zu beschneiden, wenn sie politisch und moralisch unerträglich sind.

 

Die Menschen, einschließlich der Linken, haben endlich begriffen, dass der Staat nicht besonders dafür geeignet ist, Reichtum zu schaffen: Der Markt und die Unternehmen machen das gründlicher und besser. Es wäre an der Zeit, dass die Menschen, einschließlich der Rechten, auch begreifen, dass der Markt und die Unternehmen nicht besonders geeignet dafür sind, Gerechtigkeit zu schaffen: Nur der Staat ist dazu einigermaßen in der Lage. Mit einem Wort, je hellsichtiger wir hinsichtlich der Wirtschaft und der Moral sind (der Stärke der Wirtschaft und der Schwäche der Moral), desto grösser unser Anspruch an das Recht und die Politik.

 

Hierarchie der Ordnnungen. Sie sind in aufsteigender Hierarchie dargestellt: von der niedrigen, der wirtschaftlich- technowissenschaftlichen, zur höchsten, der ethischen Ordnung, der Ordnung der Liebe. Stimmt, in Hinblick auf die Werte; stimmt, subjektiv, in Hinblick auf das Individuum. Das nenne ich die aufsteigende Hierarchie der Primate und möchte sie von dem absteigenden Katalog der Prioritäten unterscheiden. Ich schlage vor, den höchsten Wert in einer subjektiven Werthierarchie als Primat zu bezeichnen – anders gesagt, das, was subjektiv, für das Individuum, den höchsten Wert besitzt. Und unter Priorität das zu verstehen, was objektiv, für die Gruppe, in einem Katalog von Festlegungen das Wichtigste ist.

 

 

 

 

Drei Predigten über den Besitz

(Albert Schweitzer, Strasbourg 11.5./25.5. und 1.6.1919)

 

Die beiden großen Fragen, die sich stellen, sind also:                                                    

Inwieweit ist der Besitz, ganz allgemein betrachtet, rechtmäßig?

Inwieweit ist er dazu bestimmt, zum Wohle anderer verwertet zu werden?

 

Das Problem des Besitzes : Es steht auf der Grenze der Fragen, die es mit dem Nichtschädigen der Existenz des andern Menschen zu tun haben, insofern als derjenige, des es zu Besitz bringt, ob er es auch nur seiner Tüchtigkeit und unanfechtbaren Mitteln verdankt, dennoch begütert wird auf Kosten von andern. Er sammelt sich in einer Hand, was sich sonst auf mehrere verteilen würde. Er besitzt in dem Masse, als andere entbehren.

 

Welches ist das Wesen des Besitzes? Wie kommt er zustande?

 

Ein Mensch arbeitet und lässt sich dafür Wertgegenstände/Geld geben und behauptet, dies sei nun, weil er diese Arbeit geleistet hat, sein. Besitz ist also aufgespeicherte Arbeit und als solcher berechtigt. Aber es kommt noch etwas anderes hinzu: das Mitwirken der Gesellschaft. Die Gesellschaft schafft die geordneten Zustände, die dem Einzelnen ermöglichen das, was er erworben hat, zu behalten. Sie garantiert ihm, dass sogar die, die in äußerster Not sind, ihm nicht nehmen, was seine eigenen Bedürfnisse übersteigt.

Es liegt also etwas Zwiespältiges darin. Als aufgespeicherte Arbeit ist er berechtigt; als von der Gesellschaft ohne Rücksicht auf die Bedürfnisse garantiert, ist er beanstandbar.

Wer von der Arbeit seiner Eltern eine Summe ererbt, der kann besitzen und Besitz vermehren, ohne besonders, seinem Besitze entsprechende Arbeit jemals geleistet zu haben….

Dies, dass die Gesellschaft den Besitz garantiert ohne Rücksicht auf die Bedürfnisse der Bedürftigen und dass Besitz nicht nur aufgespeicherte Arbeit, sondern Ausnützung und Aufspeicherung der Arbeit anderer ist, macht es, dass wir nicht ihn nicht nur als etwas Berechtigtes empfinden, sondern auch an ihm irre werden, und immer wieder irre werden, wenn wir denkende Menschen sind.

Wir können nicht anders als anzuerkennen, dass die Gesellschaft in letzter Linie Herr des Besitzes ist und das Recht hat, wo es das Wohl der Allgemeinheit erfordert, den Besitz einzuschränken und für sich in Anspruch zu nehmen.

 

Alles Gut, das ich besitze, gehört nicht mir in dem Sinne, dass ich sage: „Das ist mein, ich kann damit machen, was ich will“, sondern nur in dem Sinne, dass ich mir sage: „Das ist Gut, das ich in einem für die Allgemeinheit nutzbringenden Sinne verwalten soll und für das ich vor meinem Gewissen Verantwortung schuldig bin.“

Besitz heißt also Verantwortung.

 

Was soll ich mit dem, was ich besitze, tun? Wie weit darf ich es für mich verwenden? Wie weit muss ich es denen, die bedürftig sind, zukommen lassen?

 

Zunächst in aller Schärfe die Frage: Wer ist ein Besitzender? Wo fängt der Besitz an?

In aller Schärfe lautet die Antwort: Besitzender ist jeder, der abends beim Zubettgehen etwas für den nächsten Tag übrig behalten hat. Weh‘ dir, wenn du damit fertig bist und dir eine so bequeme, vernünftige Sittlichkeit zurechtgelegt hast, in der diese Fragen, wie du etwas für dich behalten darfst, während andere nichts haben, dich nicht mehr belästigen..

 

Und niemals dürfen wir ruhig werden, sondern müssen uns immer fragen: Ist es denn wirklich notwendig und erlaubt, dass du dieses für dich behältst, statt damit Gutes zu tun?

 

Ich kann uns allen nur immer sagen: Jeder, der nur etwas übrig behält, ist ein Besitzender und darf sich nicht in Ruhe wiegen, sondern muss immer unruhig sein, ob er es verantworten kann und inwieweit er es verantworten kann, etwas zu haben, während andere darben.

 

Zu diesem notwendig Unfertigen und Widersprechenden gebe ich euch noch Gesetze, die für jeden durchführbar sind und die eine weit gediehene Lösung des Problems des Besitzes darstellen, wenn sie allgemein Geltung bekämen.

1.      Schränke deine Lebensbedürfnisse ein, dass du habest zu geben. Revidiere deine Lebensführung und die der Deinen und schau, was du sparen könntest, um reich zu sein zum Wohltun. Darum weg bei uns allen mit dem Geistlos-Überflüssigen ! Lasst uns so einfach wie möglich leben, dass wir haben zu geben!

Deine Lebensführung soll hinter deinen Mitteln zurückbleiben, auf dass Du reich seist zu geben.

2.      Gestattest du dir etwas, das nicht zum Lebensnotwendigen, sondern der Erholung oder der Genugtuung am Schönen und Angenehmen dient, so nimm ungefähr den gleichen Wert und bestimme ihn für Wohltaten. Ich meine also, wir müssen gewissermaßen in allem, was über das Notwendige hinausgeht, mit den Bedürftigen teilen, eine freiwillige geheime Steuer entrichten, durch die wir uns innerlich die Erlaubnis erwirken, das in unserer Hand befindliche Gut so für uns zu verwerten.

In dem, das du über das eigentliche Bedürfnis hinaus zu deiner Annehmlichkeit oder Erholung für dich verwendest, richte dich so ein, dass du ungefähr gerade soviel gibst für die Bedürftigen.

 

Wie sollen wir geben?

 

Wohltun ist nicht etwas so Poetisches, wie es auf Abbildungen versinnbildlicht wird, sondern etwas Prosaisches, das Ausdauer und einen Idealismus verlangt, der sich mit der Wirklichkeit auseinandersetzt, ohne etwas von seiner Energie zu verlieren.

 

Unsere Zeit fordert zwei Arten von Wohltun von uns: das unpersönliche und das persönliche. Das unpersönliche besteht darin, dass wir den organisierten Gesellschaften Mittel zur Verfügung stellen, damit sie die wohltätigen Zwecke, die sie sich gestellt haben, erfüllen können. Und warte nicht, bis sie dich aufsuchen, sondern suche sie auf! Jede Organisation, die auf die Wohltätigkeit gerichtet inbegriffen, ist auf die Dauer nur so viel wert, als sich tüchtige Menschenenergien in ihr betätigen, denn die persönliche Initiative, die vielgestaltig anpassungsfähige Kraft der Einzelnen, ist die Einheit, aus der sich jede wirkliche Leistung aufbaut. Die wohltätigen Organisationen brauchen nicht nur deinen Beitrag, sie brauchen auch dich, deine Zeit, deine Arbeit, deine menschliche Gesinnung.

 

  

Eine ungeheure Evolution wird sich in den nächsten Jahren unter dem Drucke der Verhältnisse, unter dem Drucke der Not, unter dem Drucke der Ideen, die aus dem Nachdenken über das Wesen des Besitzes kommen, vollziehen. Sie lässt sich aus äußeren und inneren Gründen nicht aufhalten; sie wird mit furchtbarem äußerem Unrecht gegen die Besitzenden, mit furchtbarer Überhebung derer einhergehen, die lieber reden statt zu arbeiten. Wollte Gott, wir hätten in der ganzen Welt diese Umgestaltung der Verhältnisse schon erlebt und die Kämpfe überstanden, die sie bringen wird. Es handelt sich um äußere Maßnahmen der Zweckmäßigkeit, über die die Mitglieder eines Volkes sich schlüssig zu machen haben.